Konflikte im Reitstall lösen durch Coaching

Viele Menschen, viele unterschiedliche Meinungen. Treffen dann noch Hobby und Beruf aufeinander herrscht oft großes Konfliktpotenzial. Pferdebetrieb hat sich mit Rebekka Harms von Harms | Pferdeprofis gut beraten zum Interview verabredet und darüber gesprochen, wie Konflikte überhaupt entstehen, was jeder Einzelne zu einem harmonischen Miteinander beitragen kann und welche Rolle das eigene Mindset dabei spielt.

Pferdebetrieb: Wir alle wissen, dass es auf Pferdebetrieben nicht immer harmonisch abläuft. Doch wie entstehen Konflikte überhaupt?

Rebekka Harms: Bei einem Konflikt treffen mindestens zwei Parteien mit unterschiedlichen Wünschen, Vorstellungen oder Einstellungen aufeinander. Im Grunde stehen sich in einem Konflikt zwei voneinander abweichende Bedürfnisse gegenüber. Die Klärung des Konflikts, also das Finden einer Lösung, mit der beide Parteien mehr oder weniger gut leben können, ist meist schwierig.

Pferdebetrieb: Welche Faktoren spielen bei der Entstehung von Konflikten eine bedeutende Rolle?

Rebekka Harms: Ein wichtiger Punkt ist der Faktor Erwartung. Denn einer unkomplizierten Einigung stehen meist schon viele vorweg gegangene Ereignisse im Weg. Daraus ergeben sich Erwartungen, die mit dem eigenen Handeln verknüpft werden. Ein Beispiel dazu:

Auf einer großen Vereinsanlage findet ein Turnier statt. Einige Starter nehmen mit den Schulpferden des Vereins an Prüfungen teil. Für ein Pferd gibt es eine Doppelbelegung, es wurde für das Turnier und den Schulunterricht eingeplant. Das Problem fällt auf, als das Pferd zur Reitstunde nicht mehr in der Box steht. Als die Reitschulmitarbeiterin die Turnierreiterin ausfindig gemacht hat, kommt es zum Schlagabtausch. Der Konflikt ist da.

Soweit, so alltäglich. Um zu verstehen, was dort genau passiert, ist ein Blick auf den Hintergrund notwendig. Die Turnierreiterin plant den Start an einem Wettkampf. Sie trainiert wochenlang dafür, bereitet den Tag akribisch vor und erwartet natürlich, dass ihr das Pferd an diesem Tag uneingeschränkt zur Verfügung steht. Die Reitschulmitarbeiterin erwartet, dass sie das Pferd wie gewohnt für den Unterricht nutzen kann. Das Pferd ist gegebenenfalls sogar für einen bestimmten Kunden versprochen, der auf einmal „sein“ Schulpferd nicht nutzen kann. Turnierreiterin und Reitschulmitarbeiterin treffen also aufeinander und der Konflikt wird augenscheinlich, indem beide Beteiligten realisieren, dass ihre Bedürfnisse eventuell nicht erfüllt werden können.

Die Reitschulmitarbeiterin könnte folgende Information wahrnehmen: „Mein Wunsch als kompetente und verlässliche Mitarbeiterin auftreten zu können, ist in Gefahr. Mein Reitschüler wird unzufrieden sein, vielleicht kündigt er, wenn sich so etwas wiederholt“. Hinter diesem Wunsch liegt ein Bedürfnis, nämlich das nach Sicherheit. Sicherheit den Job zu behalten, welchen die Reitschulmitarbeiterin nicht mehr als befriedigend erleben würde, könne sie das Pferd nicht zuverlässig zur Verfügung stellen. Genauso ist der Wunsch der Turnierreiterin, eine Leistung erbringen zu können, ihren Einsatz im Reiten als sinnvoll zu erleben und sich durch den Vergleich im Wettkampf einordnen und orientieren zu können, nicht mehr gesichert.

Aus den Wünschen entstehen Erwartungen. Damit die Reitschulmitarbeiterin ihren Wunsch nach Sicherheit befriedigt erleben kann, entsteht bei ihr die Erwartung die Pferde frei einteilen zu können, damit die Wünsche der Reitschulkunden erfüllt werden. Die Denkstruktur dahinter heißt: „Wenn ich immer die Wünsche aller meiner Kunden erfülle, ist meine finanzielle Sicherheit gewährleistet“. Einer Erwartung liegt also immer der Wunsch nach der Erfüllung eines Bedürfnisses zu Grunde. Hier auf Seiten der Reitschulmitarbeiterin die Erfüllung des Wunsches nach finanzieller Sicherheit. Also sind die Erwartungen der Parteien und die dahinterstehenden Bedürfnisse eine entscheidende Variable für den Verlauf eines Konflikts.

Pferdebetrieb: Gibt es noch weitere Faktoren?

Rebekka Harms: Eine weitere entscheidende Variable für den Verlauf eines Konflikts ist die Interpretation. Also die Art und Weise, wie Informationen rund um den Konflikt von den Beteiligten interpretiert werden, entscheiden sehr stark über die Intensität des Konflikts. Dazu folgendes Beispiel:

Eine Reitanlage wird nach dem Generationswechsel vom Betriebsleiter und seiner Ehefrau geführt. Die Zusammenarbeit läuft eigentlich gut und der Betrieb soll modernisiert und optimiert werden. Im Prozess der Optimierung kommen unvermittelt große Unterschiede auf, wie die Zukunft des Betriebs genau aussehen soll. Der Betriebsleiter möchte die Kapazitäten des Stalls vergrößern, sie möchte die Stallgröße so lassen, wie sie ist und stattdessen die Qualität erhöhen. Der Konflikt ist da.

Nüchtern betrachtet haben der Betriebsleiter und seine Ehefrau unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf die Weiterentwicklung des Betriebs. Der Konflikt ist in folgendem Stadium: Die Erwartungen des Ehemanns und die seiner Frau sind kommuniziert. Jetzt kommt es zum Stadium der Interpretation. Der Ehemann könnte den Konflikt folgendermaßen interpretieren: „Wir haben gerade sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was die Weiterentwicklung des Betriebs angeht. Lass uns schauen, ob und wie wir eine Lösung finden, die für uns beide passend ist“. Weiter könnte er denken: „Ich betrachte meine Gedanken genauer, warum ich unbedingt vergrößern will und welches Bedürfnis bei mir dahintersteckt.“ Eine völlig andere Richtung nimmt der Konflikt, wenn seine Interpretation der Bedürfnisse und Erwartungen lautet: „Immer werde ich begrenzt, meine Wünsche und Bedürfnisse müssen immer zurückstecken. Immer muss alles so laufen, wie sie es will, meine Wünsche haben keinen Raum“.

Die erste Interpretationsmöglichkeit ist offen und bietet Raum für Gespräche, fördert die Kreativität und bietet Raum für die Entwicklung des Betriebs. Dafür ist ein gewisses Maß persönlicher Weiterentwicklung erforderlich. Die zweite Interpretationsmöglichkeit ist eher verschlossen, beinhaltet eine persönliche Bewertung und Abwertung der Position der anderen Partei. Dies führt zu einer sehr starken Begrenzung für das Finden neuer kreativer Lösungen und in diesem Fall für die Weiterentwicklung des Betriebs. Ist der Konflikt in diesem Stadium in diese Richtung verlaufen, sind die Fronten schnell verhärtet und eine Einigung nur schwer möglich.

Pferdebetrieb: Wie beeinflussen Erwartungen und Interpretationen einen Konflikt?

Rebekka Harms: Wie schon gesagt, sind Erwartungen und Interpretationen entscheidende Faktoren im Konflikt. Welche Erwartungen in einer Situation mitspielen, ob sie absurd, realistisch überzogen, angemessen oder variabel sind, hängt von jedem selbst ab. Erwartungen entstehen auf Grund der eigenen Lebensgeschichte, den daraus erworbenen Einstellungen und der persönlichen Werte. Zum Beispiel ist die Erwartungshaltung: „Wenn ich etwas sage, erwarte ich, dass alle dies direkt befolgen“, eine recht hohe mit wenig Spielraum für alle anderen Beteiligten. Sehr starre Vorstellungen und Denkweisen führen in Kombination mit hohen Erwartungshaltungen eher häufiger zu Konflikten. Es lohnt sich also die eigenen Erwartungen und die dahinterliegenden Bedürfnisse zu reflektieren und sich darüber bewusst zu sein, beziehungsweise zu werden. Ist man in der Lage sie zu reflektieren, zu kommunizieren und gegebenenfalls anzupassen, bringt dies Entspannung in einen Konflikt.

Ähnlich verhält es sich mit den Interpretationen. Ist die Turnierreiterin in unserem Beispiel gewohnt eher negativ zu interpretieren, also etwas zu denken wie „Ist ja klar, dass die Reitschule das Pferd ausgerechnet heute für die Reitstunde nimmt, die interessiert sich für meine Turnierteilnahme kein bisschen!“ befeuert das den Konflikt und lässt die Situation explosiv werden. Im Gegensatz dazu würde eine Interpretation der Reitschulmitarbeiterin wie: „Diesmal waren die Absprachen anscheinend nicht optimal, wie können wir dafür sorgen, dass beim nächsten Mal nicht wieder eine Doppelbelegung auftritt?“ den Konflikt entspannen. Selbst wenn eine Partei den Konflikt negativ interpretiert, wird dadurch das potenziell explosive Gemisch deutlich entschärft. Für einen milderen Verlauf eines Konflikts kann es also reichen, wenn einer der beiden Konfliktparteien sich in einem bewussten Umgang mit seinen Erwartungen und Interpretationen übt. Mit einer offenen Interpretation bleiben die Beteiligten offen für das Zuhören der anderen Partei. Aus einer negativen Interpretation ergeben sich dagegen häufig Bewertungen und Anklagen, was die andere Partei schnell in eine Verteidigungshaltung bringt, aus der heraus sie häufig auch mit Anklage und Vorwürfen reagiert. Das erschwert die Lösungsfindung enorm.

Pferdebetrieb: Welchen Einfluss haben die eigenen Werte auf eine Konfliktsituation?

Rebekka Harms: Die eigenen Werte spielen bei einem Konflikt ebenfalls eine wichtige Rolle. Werte lassen sich nach Victor Frankl als „allgemeine Leitlinien des persönlichen Handelns“ beschreiben. Dabei vermittelt deren Verwirklichung jedem Einzelnen einen Sinn. Werte sind wichtig, von innen und tief. Sie sind ein persönlicher Kompass und liefern einen Orientierungsrahmen. Sich der eigenen Werte bewusst zu sein, ist ein hilfreiches Werkzeug im Umgang mit Konflikten. Im Beispiel der Reitschulmitarbeiterin liegt der Wert „Verlässlichkeit“ zu Grunde. Dieser Wert ist ihr wichtig und bietet ihr einen Orientierungsrahmen. Nehmen wir an, sie hat einem Reitschüler das Pferd, welches nun auf dem Turnierplatz ist, versprochen. Dieses Versprechen kann sie nun nicht mehr einhalten und ihr persönlicher Wert wird verletzt. Sie erlebt sich selbst als unzuverlässig, weil sie das Zugesagte nun nicht halten kann. Wird die Verwirklichung der eigenen Werte unmöglich, gipfelt dies in nichts weniger als der scheinbaren Sinnlosigkeit des eigenen Handelns. Das nehmen viele Menschen nachvollziehbarer Weise nicht einfach hin, sondern kämpfen für ihre Werte und sorgen dafür, dass ihnen ihr Handeln wieder sinnvoll erscheint. Dieser Kampf sorgt in einem Konflikt für zusätzliche Spannung, die bis zur Eskalation führen kann.

Sind Werte unbekannt und unbewusst, kann es passieren, dass streitende Parteien in solchen Situationen wie ein Ping-Pong-Ball hin und her fliegen. Der verletzte Wert erzeugt ein ungutes Gefühl. In der Regel versucht der Betroffene das Gefühl loszuwerden. Eine Möglichkeit kann sein, das Pferd doch noch für die Reitstunde zu bekommen. Oder der Ärger über den verletzen Wert wird an den vermeintlichen Verursacher – hier die Turnierreiterin – weitergegeben, was sich im Streit auf der Stallgasse entlädt. Ein solches Aufeinandertreffen, besonders vor weiteren Kunden, kann sehr unprofessionell wirken und dem Ansehen des Vereins oder Betriebs schaden. Davon abgesehen ist nach dem Streitgespräch die Laune natürlich erst einmal im Keller.

Einen souveränen Umgang mit Konflikten bietet das Kennen und die Bewusstmachung der eigenen Werte. Sind die eigenen Werte bekannt, ist es einfacher zu entscheiden, wann, wo und wie sie ausgelebt werden können. Außerdem kann schneller erkannt werden, ob einer dieser Werte verletzt wurde. Wenn sich ein Gefühl von Ärger einstellt, ist eine Reflektion, woher der Ärger kommt, leichter. Stellt sich nämlich heraus, dass ein Wert verletzt wurde, ist es leichter Möglichkeiten zu finden, die Situation zu verändern. Manchmal gelingt es diese Möglichkeiten zu finden, manchmal auch nicht. Auch dann ist es aber sehr hilfreich zu wissen: „Mir fällt es schwer die Situationen zu akzeptieren, weil mein Wert XY verletzt ist“. Mit diesem Wissen gelingen die Akzeptanz und die Gelassenheit in der Situation schon viel besser.

Pferdebetrieb: Was hat das Ganze mit Coaching zu tun und wie kann Coaching dabei helfen eine Konfliktsituation zu entschärfen?

Rebekka Harms: Im Coaching betrachten wir Konfliktsituationen genauer. Wir schauen auf die eigenen Wünsche und Vorstellungen, die am Konflikt beteiligt sind. Und wir schauen außerdem auf unsere eigenen Erwartungen, mit denen wir in einen Konflikt gezogen sind und auf Interpretationen, die wir vorgenommen haben. Daraus können wir Rückschlüsse auf die Bedürfnisse ziehen, die dem zu Grunde liegen. Zuvor habe ich erklärt, dass die Faktoren Erwartungen und Interpretationen variabel sind. Demzufolge lohnt es sich einen Blick darauf zu werfen, wie und ob es guttun würde, diese Variablen zu verändern, um mit dem nächsten Konflikt souveräner umgehen zu können.

Pferdebetrieb: Im Vorgespräch hast du das Thema Generationswechsel angesprochen. Warum kommt es gerade dabei häufig zu Konflikten?

Rebekka Harms: Beim begleitenden Coaching in Nachfolgeprozessen auf Pferdebetrieben nehmen wir uns viel Zeit, die Belange und Bedürfnisse aller Beteiligten zu würdigen und zu berücksichtigen. Denn hier treffen ja die Vorstellungen von Generationen aufeinander, die teils deutlich auseinanderliegen. Gleichzeitig ist aber gerade hier ein fairer Umgang und eine Lösung, mit der alle Parteien leben können, besonders wichtig. Deswegen führen wir Einzelgespräche, in denen sich zunächst jeder seine Sorgen von der Seele reden, die eigene Leistung würdigen kann und mögliche Perspektiven erarbeitet werden können. Danach arbeiten wir im großen Team oder auch in kleineren Einzelteams, um gemeinsame Lösungen zu finden, Zielvisionen für den Betrieb zu entwerfen und den Familienzusammenhalt zu stärken.

Pferdebetrieb: Vielen Dank Rebekka!

Konfliktmanagement in Pferdebetrieben
Artikel im Pferdebetrieb - 09/2023
Konflikte souverän meistern können - das wünscht du dir? Coaching kann dir helfen.
Denn wie so oft ist eine klare und offene Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg. Professionelle Coachings können dir helfen, dich deinem eigenen Mindset – deiner eigenen Denkweise – und deren Wirkung auf Andere bewusst zu werden. Ein wichtiger Punkt bei der Auflösung und Vermeidung von Konfliktsituationen.